Barrierefreie Webseiten als Bordsteinabsenkung der digitalen Welt

Warum Barrierefreiheit nicht nur Menschen mit Behinderung nützt

Nachdem ich das Buch „Barrierefreiheit im Internet“ von Domingos de Oliveira gelesen habe, wurde mir zum ersten Mal (wirklich) bewusst, dass digitale Barrieren sich gar nicht so sehr von denen im wirklichen Leben unterscheiden. Bordsteine oder auch Gehwegkanten sind ein fester Bestandteil der urbanen Infrastruktur. Sie dienen dazu, Gehwege von der Fahrbahn abzugrenzen. Durch sie soll verhindert werden, dass Fahrzeuge den für Fußgänger vorgesehenen Bereich befahren. Mittels einer physischen Barriere soll also die Sicherheit der Fußgänger erhöht und das Unfallrisiko verringert werden.

An Straßenkreuzungen und Fußgängerüberwegen, vor Grundstückseinfahrten oder an Bushaltestellen wird der Höhenunterschied der Kante verringert – die sogenannte Bordsteinabsenkung. In erster Linie dient dies Rollstuhlfahrern, die das Hindernis damit leichter überwinden können. Aber halt! Profitieren von abgesenkten Bordsteinen wirklich nur Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind? Sind diese unscheinbaren Herabsetzungen der Barrieren nicht zugleich auch hilfreich für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, also ältere oder kranke Menschen, für Eltern mit Kinderwägen, Radfahrer, Lieferanten mit Sackkarren oder Touristen mit Rollkoffern?

In meinen Kursen zum Thema digitale Barrierefreiheit greife ich gern auf diese Analogie zurück, um deutlich zu machen, dass die Umsetzung des BFSG nicht „nur“ eine Maßnahme ist, geltende Richtlinien umzusetzen, sondern durchaus auch andere positive Effekte mit sich ziehen kann. Denn barrierefreie Gestaltung von Webseiten ist die abgesenkte Bordsteinkante der digitalen Welt. Es profitieren weitaus mehr Menschen davon, als auf den ersten Blick ersichtlich.

Was sind barrierefreie Webseiten?

Die Idee hinter dem Ziel, Webseiten und andere digitale Produkte so zu gestalten, dass sie von jedem Menschen, also auch

Viele Gesetze wurden zwar im Hinblick auf Teilhabe erlassen, aber

Sehen wir uns einmal einige Szenarien an, in denen auch Menschen ohne Behinderung auf die Zugänglichkeit digitaler Produkte angewiesen sind.

Menschen ohne Behinderung, die von barrierefreien Webseiten profitieren

  • Menschen, die ein mobiles Endgerät nutzen. Mobile Webseiten funktionieren nicht immer in der gleichen Weise wie eine Desktopwebseite;
  • Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen oder Menschen, die die Sprache nicht fließend beherrschen;
  • Menschen, die Internetverbindungen mit geringer Bandbreite oder ältere Technologien nutzen;
  • Menschen, die nicht häufig oder erst seit kurzem digitale Produkte nutzen;
  • Menschen mit situativen Einschränkungen, z. B. in einer lauten oder schwach beleuchteten Umgebung;
  • diejenigen, die eine vorübergehende Behinderung haben, beispielsweise einen gebrochenen Arm;
  • Menschen, die sich in einer Situation befinden, in der sie nicht einfach mit Inhalten interagieren können, zum Beispiel Videos ohne Untertitel oder
  • Menschen mit altersbedingter verminderter Sehfähigkeit oder einem leichten Zittern der Hände / Arme (auf die Zielgruppe „ältere Menschen“ werde ich etwas später zurückkommen)

ALL DAS SIND MENSCHEN, die nicht der Kategorie “behindert” zugeordnet werden, die aber dennoch darauf angewiesen sind, dass eine Webseite zugänglich ist.

Lassen wir die Zahlen sprechen

8 % aller Männer sind farbenblind! Bestimmte Farbkombinationen sind für sie also nicht lesbar. Am häufigsten tritt dabei die Rot-Grün-Blindheit auf. Aber auch andere Kombinationen, wie die Blau-Gelb-Blindheit sind möglich. Auf bestimmte Farbkombinationen sollte daher bei der Gestaltung einer Webseite verzichtet werden. Ein Beispiel für einen häufigen Einsatz von Rot-Grün-Kombinationen sind Belegungskalender, in denen freie Daten grün und belegte Daten rot angezeigt werden.

12 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland leidet an einer Augenkrankheit, welche sich auf die Sehfähigkeit auswirkt (Altersabhängige Makula-Degeneration, Glaukom (Grüner Star) und Diabetische Retinopathie. Nicht einbezogen wurde bei der Studie eine der in Deutschland am häufigsten auftretenden Augenkrankheiten, die Katarakt (Grauer Star), welche mehr als 800.000 mal jährlich operiert wird.)

20 % aller Menschen ab 65 sind von einem sogenannten Essenziellen Tremor, also einem Zittern der Hände betroffen. Diesen Menschen fällt es schwer, eine Maus zu bedienen beziehungsweise kleine Elemente auf einer Webseite anzuwählen.

Bedenkt man zudem, dass der Bevölkerungsanteil älterer Menschen stetig steigt und auch diese Menschen zunehmend digitale Produkte nutzen, wird einem schnell klar, dass Unternehmen diese Zahlen eigentlich nicht ignorieren dürfen und können.

Kein Unternehmen kann es sich leisten, solch große Zielgruppen zu ignorieren!

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